Frage: Was haben Griechenland, Portugal,
Spanien und Großbritannien gemeinsam?
Antwort: Die Regierungen in diesen Staaten
fahren einen austeritätspolitischen Kurs und müssen sich 2015 zur Wiederwahl
stellen.
Griechenland macht, wie wir seit gestern
wissen, am 25. Januar den Anfang. Dass es so gekommen ist, kann eigentlich
niemanden überraschen. Die von der Troika forcierte „Sanierungskonzeption“ hat
überall, wo sie in Europa angewendet wird, die jeweiligen politischen Systeme
an den Rand des Zusammenbruchs geführt. Über diesen austeritätspolitischen Kurs
sollen nun die Griechen entscheiden. Die Briten wählen dann am 7. Mai ein neues
Unterhaus, in Portugal wird am 11. Oktober neu gewählt und zuletzt in Spanien
am 20. Dezember.
Von der Bankenkrise in die Schuldenkrise
Vor ein paar Jahren noch hätte das
europaweit den allermeisten allenfalls ein müdes Schulterzucken und die Frage
„Na und?“ entlockt. Genauer gesagt vor der europäischen Schuldenkrise, die eine
unmittelbare Folge der historisch kostspieligsten Rettung und Stabilisierung
der durch unverantwortliche Deregulierung und kriminelles Fehlverhalten von
Groß- und Investmentbanken destabilisierten Finanzmärkte war. Der von und in
Europa gewählte Weg zur Sanierung der überstrapazierten Staatsfinanzen in den
von der Banken- und der sich anschließenden Weltwirtschaftskrise besonders hart
getroffenen Mitgliedstaaten der Union, hat das Bild jedoch völlig verändert. Das
macht das Wahljahr 2015 möglicherweise zu einem für Europas entscheidenden
Jahr.
Mit der Austeritätspolitik in die Krise des politischen Establishments
Doch das glauben immer weniger Menschen.
Ihre Realitätswahrnehmung straft die Politiker ebenso wie die als Zeichen der
Besserung präsentierten statistischen Daten lügen. Anders ist es nicht zu
erklären, dass nach nun mehr fünf Jahren des europäischen Krisenmanagements und
der der Anwendung des wirtschaftsliberalen, austeritätspolitischen Sanierungskonzepts
die Wut in der Bevölkerung immer weiter gestiegen ist und sich zunehmend in den
Wahlresultaten der altehrwürdigen Volksparteien in direkt oder indirekt
betroffenen Mitglied-staaten niederschlägt. Ihr Rückhalt in der Wählerschaft ist
teilweise massiv geschrumpft. Das gilt nicht zuletzt für Griechenland.
Die Macht der großen Volksparteien in
Europa wird inzwischen ernsthaft von Parteien herausgefordert, die vor Beginn
der europäischen Schuldenkrise in Griechenland (Ende 2009) politisch
unbedeutend waren oder überhaupt noch nicht existierten. Ihr Aufstieg kann und
muss vielleicht sogar als Zeichen des Niedergangs der großen, etablierten
Volksparteien angesehen werden. Denn der Prozess des Wählerschwundes der großen
Volksparteien ist so wenig gestoppt wie die europäische Schuldenkrise beendet und
die Gefahr einer erneuten Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise gebannt ist. Dieser
letztlich unbewältigte Krisencocktail ist die Ursache für die Krise des
politischen Establishments.
Die „Mängelliste“ der altehrwürdigen Volksparteien
Das hat jedoch eine Reihe von Gründen. In
der Wahrnehmung einer inzwischen signifikanten Zahl von Bürgern
- sind die großen Volksparteien nicht nur gleichermaßen unfähig oder unwillig, die Probleme im Land sowie vor allem die großer Bevölkerungsteile im Land zu lösen,
- mehr noch unterscheiden sie sich in der Politikpraxis kaum noch,
- gelten als hoffnungslos verfilzt und unfähig zur Erneuerung,
- belegen durch immer neue, schlagzeilenträchtige Skandale, wie sehr ihre Mitglieder stets die eigenen Vorteile im Blick und wie wenig Skrupel sie nicht selten haben, persönliche Vorteile zu Lasten oder zum Schaden der Gesellschaft zu erzielen, ohne dafür angemessen zur Verantwortung gezogen zu werden.
Genau an dieser „Mängelliste“ knüpfen die
aufstrebenden Parteien nun sehr erfolgreich an. Das ist es, was den in 2015
anstehenden Parlamentswahlen in Griechenland, Großbritannien, Portugal und
Spanien eine heraus-gehobene Bedeutung verleiht. Denn das Bedienen der durch
diese Mängelliste hervorgerufenen Wut und Bedürf-nisse, könnte sich für andere
Parteien auszahlen und so erhebliche Bewegung, letztlich möglicherweise auch zu
einem Umbruch im politischen Gefüge in der Europäischen Union führen. Das ist
vielleicht nicht gerade hoch wahrscheinlich. Einen kritischen Reifegrad hat die
Situation in der Politiksphäre inzwischen aber erreicht. Nichts hat das
deutlicher gezeigt als die Europawahl am 25. Mai. Deswegen sind gravierende
politische Veränderungen zumindest in einigen Mitgliedstaaten auch nicht mehr
auszuschließen.
Ein breites Spektrum aufstrebender Parteien in der Europäischen Union
Davon könnten aufstrebende Parteien
profitieren. In Griechenland ist das insbesondere die Linkspartei SYRIZA, in
Spanien die noch junge linksalternative Partei „Podemos“ („Wir können“), die
die großen etablierten Parteien inzwischen in Umfragen überholt. In
Großbritannien wird die eurokritische, rechtsgerichtete Britische Unabhängig-keitspartei
(UKip) immer stärker. Nur in Portugal existiert bis jetzt noch keine
ernstzunehmende Konkurrenz für das politische Establishment.
Auch in Frankeich und Italien sind im Zuge
der europäischen Schuldenkrise aus denselben Gründen Parteien zu einer ernsten
Konkurrenz für die alten Volksparteien herangewachsen. In Frankreich ist es der
rechtsextreme „Front National“, der in Umfragen zur nächsten
Präsidentschaftswahl inzwischen sogar schon als stärkste Kraft gesehen wird. In
Italien ist es die „Fünf-Sterne-Bewegung“ von Beppe Grillo. Sogar im
wirtschaftlich scheinbar krisenresistenten Deutschland hat sich die politische
Landschaft verändert. Die FDP ist in die Bedeutungs-losigkeit abgerutscht, die
rechtsgerichtete „Alternative für Deutschland“ profitiert hingegen zunehmend
von der Unzufriedenheit mit dem europapolitischen Kurs der Bundesregierung.
Augenscheinlich profitieren all diese
aufstrebenden links- oder rechtsgerichteten Parteien umso mehr, je stärker und
länger sich ein Land selbst wirtschaftlich auf Krisenkurs befindet oder
indirekt von der Krise in anderen Ländern betroffen ist, was sich nicht zuletzt
in zunehmender Fremdenfeindlichkeit äußert. Gleichwohl ist es gerade weil diese
aufstrebenden Parteien ganz unterschiedliche Bereiche des politischen Spektrums
abdecken weder angebracht noch glaubwürdig, sie pauschal als populistisch,
unseriös und gefährlich abzustempeln. Auf einige trifft das ganz gewiss zu, auf
alle jedoch ganz sicher nicht.
Die großen Volksparteien haben aus der Europawahl nichts gelernt
Umso erstaunlicher ist es, dass die großen
Volksparteien aus der richtungsweisenden Europawahl im Mai offenbar keine
Lehren gezogen haben – jedenfalls keine erkennbaren. Alles geht so weiter wie
bisher. Insofern ist es allerdings auch überhaupt keine Überraschung, sondern
nur die logische Konsequenz, dass der Euro-Zone mit der Neuwahl in Griechenland
jetzt erneut eine ernste Krise droht.
Nur für den Fall, dass noch immer nicht
klar geworden ist, was die in Griechenland für Europa bedeuten:
Der von den großen Volksparteien in der Union eingeschlagene Kurs zur Bewältigung der europä-ischen Schuldenkrise hat Europas Probleme nicht gelöst, sondern nur dazu geführt, dass überall in Europa sukzessive wirtschaftliche und schließlich auch politische Verhältnisse geschaffen wurden wie im Zuge der ersten Weltwirtschaftskrise in der Weimarer Republik. Griechenland ist jetzt das erste Euro-Land, in dem mit den Neuwahlen genau die Situation eingetreten ist, in der die Wähler sich entscheiden müssen, ob sie mit diesem krisenpolitischen Kurs brechen und die Zukunft ihres Landes jemandem anvertrauen, der an der Spitze einer Partei ohne Regierungserfahrung steht und ihnen unter dem Strich deswegen natürlich nichts anders als Versprechungen bieten kann.
Griechenland ist erneut die europäische Krisenvorhut
Griechenland ist ebenso wie zu Beginn der
Euro-Krise im Jahr 2010 wieder nur das erste einer Reihe von Euro-Ländern, in
denen sich die Dinge wirtschaftlich und politisch auf einen kritischen Punkt
zubewegen. 2012 stoppte die Dominosteinkette der Euro-Krise bei Spanien und
Italien. Dieses Mal dürfte Frankreich ganz sicher dazu gehören.
Die Verkettung ungelöster Haushalts- und
wirtschaftlicher Probleme mit politischen Krisen ist in Europa nicht ohne
historisches Beispiel. Im Zuge der ersten großen Finanzmarkt- und
Weltwirtschaftskrise passierte dasselbe auch in der Weimarer Republik. Das ist
bekannt. Und doch ist es erschreckend, dass dies beharrlich ignoriert wird,
obwohl die Entwicklung heute der damaligen im Wesentlichen folgt. Das gilt ganz
besonders auch für die Reaktionen des wirtschaftswissenschaftlichen und
politischen Establishments, aber auch für die führenden Medien – dem
„Informationszeitalter“, der „Wissensgesellschaft“ und allem
wirtschaftswissenschaftlichen Fortschritt zum Trotz. Das lässt sich
exemplarisch verdeutlichen.
Bilanz der europäischen Krisenpolitik: Weimarer Republik reloaded?
In der folgenden Tabelle 1 sind die
Ergebnisse der Parteien bei Wahlen in der Weimarer Republik aufgeführt.
Tabelle 1: Zum Vergrößern bitte Tabelle anklicken!
Die Wahl im Jahr 1928 ist die letzte vor
dem großen Börsencrash von 1929 in New York und vor Beginn der ersten großen
Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise gewesen. Danach erfolgten Wahlen in
kurzen Abständen, was nicht zuletzt eine Folge der schweren Schulden- und
Wirtschaftskrise sowie der von Reichskanzler Heinrich Brüning (Zentrums-Partei)
verfolgten Austeritätspolitik war. Ende Januar 1933 war Brüning mit dieser
Politik endgültig politisch gescheitert. Adolf Hitler wurde von Hindenburg zum
Reichskanzler ernannt. Bei der Wahl am 5 März 1933 erhielt seine NSDAP zwar
nicht die erhoffte absolute Mehrheit, konnte diese aber zusammen mit dem
Koalitionspartner DNVP sichern.
Zum Vergleich sind in der nachfolgenden
Tabelle 2 Termine und Ergebnisse von Parlamentswahlen in Griechenland ab
Oktober 2009 aufgeführt sowie zusätzlich auch die Europawahlergebnisse, weil
diese den Boden für die nun anberaumte Neuwahl Ende Januar 2015 bereiteten.
Tabelle 2: Zum Vergrößern bitte Tabelle anklicken!
Zur Erinnerung: Die Wahl im Oktober 2009
hatte einen Erdrutschsieg für die sozialdemokratische PaSoK gebracht. Sie löste
erstmals wieder nach langer Zeit die konservative Nea Dimokratia an der
Regierung ab. Doch bereits wenige Monate später, nämlich Ende 2009, holten die
PaSoK die von der Nea Dimokratia geerbten Versäumnisse und Probleme ein. Die
Schuldenkrise Griechenlands begann.
Vom Absturz und Aufstieg von Parteien
Ähnlich wie die NSADP in der Weimarer
Republik erlebte auch die Linkspartei Syriza mit der einsetzenden scharfer
Krise in Griechenland einen kometenhaften Aufstieg.
Verloren hatte, wie aus Tabelle 1 zu
ersehen ist, in den Krisenjahren Anfang der 30er Jahre vor allem die SPD. 1929
fuhr sie mit 29,8 Prozent der Stimmen ihr bestes Ergebnis seit 1919 ein. Doch
bei jeder anschließenden Wahl büßte sie sukzessive immer mehr Stimmenanteile
ein. Die NSDAP profitierte davon, nahm aber ebenso der rechtsnationalen DNVP
viele Stimmen ab.
Auch in Griechenland erlebten die
Sozialdemokraten (PaSoK) einen starken, genauer gesagt sogar einen verheerenden
Stimmeneinbruch. Sie stürzte von 43,9 Prozent der Stimmen bei der Wahl im
Oktober 2009 auf 12,2 Prozent bei der Parlamentswahl im Juni 2012 ab und
erreichte bei der Europawahl im Mai 2014 selbst im Bündnis mit anderen kleinen
Parteien („Eli“ = Olivenbaum) nur noch einen Stimmenanteil von 8 Prozent. Die
konservative Nea Dimokratia brach zwar nach der Wahl in 2009 auch bei der im
Mai 2012 nochmals überraschend stark ein, legte aber – dank massiver
politischer und medialer Unterstützung aus der Euro-Zone – bei der
anschließenden Parlamentswahl im Juni 2012 wieder deutlich zu. Bei der
Europawahl in Griechenland im Mai 2014 verlor sie hingegen trotz einer
innerhalb der EU überdurchschnittlich hohen Wahlbeteiligung von 58 Prozent
erneut stark, wie aus Tabelle 2 zu ersehen ist.
Es ist insofern und vor allem auch
aufgrund aller Umfragen seit der Europawahl, die durchweg Syriza als stärkste
Partei sahen, fraglich, ob die Nea Dimokratia bei der Parlamentswahl am
25. Januar wieder stärkste Partei werden kann.
Ein wesentlicher Unterschied im
historischen Vergleich mit der Weimarer Republik ist, dass die NSDAP eine
extrem rechtsgerichtete Partei war, vergleichbar mit der Goldenen Morgenröte in
Griechenland. Syriza befindet sich hingegen auf der anderen Seite des
politischen und sie ist offenbar auch keine extremistische Partei. Vielmehr
handelt es sich um eine Linkspartei, die eher vergleichbar ist mit z. B. der
Linkspartei in Deutschland. Insofern scheint sich die Geschichte in Griechenland
jedenfalls nicht zu wiederholen.
Die rechtsextreme Goldene Morgenröte liegt
gemäß letzter Umfragen nur bei etwa 4-6,5 Prozent - zu wenig, um die Geschicke
in Griechenland maßgeblich beeinflussen zu können. Zudem sind dort auch neue
Mitte-Links-Parteien entstanden, insbesondere die beiden Parteien „To Potami“
(„Der Fluss“) und „Die Reformer“, die bei der anstehenden Wahl gemeinsam als
Mitte-Links-Bündnis antreten werden und die Gewichte im neuen Parlament
insgesamt eher noch weiter auf die linke Seite des politischen Spektrums
verschieben könnten.
Das Märchen von der Alternativlosigkeit und vom Erfolg auf lange Sicht
Vor diesem Hintergrund ist es
besorgniserregend, wie etwa die
Bundesregierung, aber auch auf europäischer Ebene, insbesondere bei der
Europäischen Kommission, auf die gescheiterte Präsidentenwahl in Griechenland und
auf die in den Umfragen führende Linkspartei Syriza reagieren, weil sie den
austeritätspolitischen Kurs im Fall eines Wahlsieges nicht fortsetzen will.
So hat beispielsweise Bundesfinanzminister
Wolfgang Schäuble gestern vor einer Abkehr vom austeritätspoli-tischen Kurs
gewarnt: "Die harten Reformen tragen
Früchte, sie sind ohne jede Alternative", wird Schäuble zitiert. (1)
Deutschland werde Griechenland weiterhin auf dem Reformkurs "mit Hilfe zur Selbsthilfe"
unterstützen. Sollte Griechenland einen anderen Weg einschlagen, dann "wird es schwierig". (2)
Reichskanzler Heinrich Brüning war auch
vom austeritätspolitischen Konzept und davon, dass es – auf lange Sicht – Früchte
zu tragen würde, überzeugt. Das änderte aber dennoch nichts daran, dass damals
immer größere Teile der notleidenden Bevölkerung das anders beurteilten und
dieser Kurs letztlich zur endgültigen Demontage der parlamentarischen
Demokratie führte.
Die Negierung wirtschaftswissenschaftlichen Fortschritts
Den wirtschaftsliberalen Sanierungskurs
für alternativlos zu erklären, wie es neben Wolfgang Schäuble unter anderem
auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel tut, bedeutet darüber hinaus,
wirtschaftswissenschaftlichen Fortschritt für unmöglich zu erklären. Und "unmöglich"
ist etwas immer nur genau so lange, bis es plötzlich einer macht oder präziser
gesagt bis einer die Möglichkeit erhält, es zu machen.
Auch das ist in der ersten
Weltwirtschaftskrise und in der Weimarer Republik nicht anders gewesen. Hitler
hat einen teuflischen Weg gewählt, um das Land aus der Krise zu führen, das ist
keine Frage. Aber es war ein anderer und er orientierte sich wirtschaftspolitisch am Ökonomen John Maynard
Keynes, dessen Wirtschafts-theorie die Weltwirtschaftskrise überhaupt erst zum
wissenschaftlichen Durchbruch verhalf. Keynes hatte eine Alternative, die bis
dahin von den Vertretern der herrschenden wirtschaftsliberalen Lehre abgelehnt
und von den führenden Politikern und Parteien ignoriert worden war.
Freilich heißt das nicht, dass Keynes Ansatz
heute die Lösung für Griechenland wäre. Denn schuldenfinanzierte Stimulierung
kann nur funktionieren, wenn konjunkturelle Probleme vorliegen. Markt- oder
wirtschaftsstrukturelle Probleme, die unter anderem in Griechenland vorliegen,
lassen sich damit nicht beheben. Allerdings ist Keynes unzweifelhaft ein Beleg
dafür, dass Wirtschaftsliberalismus und liberale Austeritätspolitik nicht
alternativlos sind.
Die Finanzmarktkrise, die ganz besonders
auch eine Folge der wirtschaftsliberal begründeten Deregulierung war – in der
Krise ab 1929 ebenso wie in der ab 2008 – ist hingegen der Beleg dafür, dass
Märkte anders als liberal-neoklassische Wirtschaftslehre und
liberal-konservative Politiker unterstellen, keineswegs prinzipiell
selbstregu-lierend und selbstheilend sind. Auch das erlaubt grundsätzliche
Zweifel an der Behauptung, der austeritätspoli-tische „Reformkurs“ sei der
einzig erfolgversprechende und deswegen alternativlos. Die in der Europäischen
Union hartnäckig fortbestehenden enormen wirtschaftlichen Ungleichgewichte
haben sowohl markt- als auch wirtschafts-strukturelle Ursachen, die auf sich
selbst überlassenen Märkten offensichtlich keineswegs von selbst verschwinden.
Doch genau darauf baut das austeritätspolitische Konzept.
Dieselben Reaktions- und Verhaltensmuster
Wie sehr das Verhalten von Politik,
liberal-neoklassischem ökonomischem Mainstream und führenden Medien heute und
ganz besonders in Bezug auf Griechenland und andere Schuldenstaaten dem damaligen
ähnelt, verdeutlicht das folgende Zitat aus dem Leitartikel der Frankfurter
Zeitung vom 15.09.1930. In diesem Artikel werden die Reichstagswahlen vom
14.09.1930 – ähnlich wie es jetzt für die anstehenden Wahlen in Griechenland zu
erwarten steht – als „Erbitterungs-Wahlen“ bezeichnet. Die Wahl brachte damals ein
politisches Beben. Die rechtsradikale NSDAP errang erdrutschartig 107 Sitze im
Reichstag – nach zuvor lediglich 12 Sitzen:
„ ... Kein positiver Wille, auch nicht der zu einem wirklichen Umsturz des heutigen Staates, nicht einmal der zu dem gewaltsamen Versuch eines Umsturzes unserer heutigen außenpolitischen Grundlagen, steht hinter einem großen Teil dieser radikal-negierenden Stimmen. Ein solcher Umsturz-Wille ist, wir dürfen uns wahrhaftig nicht in Illusionen wiegen, bei einem Teil sicherlich vorhanden. Der andere Teil hat lediglich Protest gewollt. Protest – auch darüber dürfen wir uns keine Illusionen machen, und am allerwenigsten dürfen das diejenigen Parlamentarier und sonstige Parteistellen, die es zunächst angeht – gegen die Methoden des Regierens oder Nichtregierens, des entschlußlosen parlamentarischen Parlamentierens der letztvergangenen Jahre, die jedem anderen mißfallen haben als den Parlamentariern, die sie betrieben. Protest gegen die wirtschaftliche Not, die furchtbar ist und die viele, zum Teil aus ehrlicher Verzweiflung zum anderen bloß aus dem Ärger über diese oder jene Einzelmaßnahme, einfach in die Stimmung treibt: die Partei, für die sie bisher gestimmt hatten, habe ihnen nicht geholfen, also versuche man es nun einmal mit der anderen Tonart. Hitler verspricht ja Macht, Glanz und Wohlstand. Also! Wie wäre es, wenn Hitler jetzt wirklich die Möglichkeit erhielte, die Macht zu ergreifen? Er stünde nackt und bloß und wüßte in Wirklichkeit nichts, gar nichts, um seine Versprechungen zu erfüllen und Deutschland aus der Not herauszuführen. ... „Wörtlich aus dem Leitartikel der Frankfurter Zeitung vom 15.09.1930, Nr. 688, zitiert nach W. Conze, „Der Nationalsozialismus“, Teil I, Stuttgart, 6. Aufl. 1972, RZ 54, S. 38-39.
Alternativlosigkeit als Wahlkampfstrategie – eine Sackgasse mit Ansage
Für die alteingesessenen Volksparteien in
der Europäischen Union ist mit Blick auf Griechenland Alexis Tsipras, der
Parteichef der Syriza, derjenige, der „Macht,
Glanz und Wohlstand“ verspricht und dem diese Fähigkeit immer wieder insbesondere
von Vertretern der fest etablierten liberal-konservativen Parteien lautstark
abgesprochen wird. Freilich soll damit verhindert werden, dass er von den
Wählern die Möglichkeit erhält, den Beweis anzutreten. Gelänge es ihm, gewählt
zu werden und es besser oder vielleicht sogar nur nicht noch schlechter zu
machen, dann könnte die Blamage für die Verfechter des bisherigen
austeritätspolitischen Kurses und damit für die etablierten großen Parteien in der
Euro-Gruppe kaum größer sein.
Es ist, wie der historische Vergleich
zeigt, in Krisenzeiten eine äußerst riskante Wahlkampfstrategie, Spitzen-politikern
neuer oder bekannter, aber ehedem unbedeutender Parteien pauschal zu unterstellen,
sie könnten kein besseres Krisenkonzept haben, weil das schlicht unmöglich sei.
Denn irgendwann wird damit nicht mehr das Konzept, sondern nur noch die Krise
selbst oder genauer gesagt die institutionalisierte Krise, nämlich die
Regierung, für alternativlos erklärt.
Ist sie das – in Griechenland und anderen
Mitgliedstaaten? Und: Wie ist es um die Demokratie bestellt, wenn Regierungen
eine Bedrohungsszenario bemühen und unterschiedslos auf jede andere Partei
anwenden, um sich für alternativlos erklären zu lassen?
Letztlich könnten in Griechenland jedoch vielleicht
sogar weniger die Frage des Krisenkonzepts, sondern vielmehr die anderen, oben angesprochenen
Punkte der „Mängelliste“ der altehrwürdigen Parteien wahlentscheidend sein. Für
die etablierten Parteien, die sich 2015 in Großbritannien, Portugal und Spanien
Wahlen stellen müssen, würde das nichts Gutes bedeuten. Aber zu sagen, es wäre
schlecht für Griechenland und Europa, wenn die großen Volksparteien für ihre
Politik keine Mehrheit mehr finden, das wäre wenigstens ein voreiliges Urteil.
Das ist Stoff zum Nachdenken.
In
diesem Sinne wünsche ich allen Lesern einen guten Abschluss mit dem alten und
einen kontrollierten Rutsch in ein gutes, neues Jahr.
Stefan
L. Eichner
Wie kann ich mich vor dem ESM-Vertrag schützen ?
AntwortenLöschenSicherung von Vermögen gegen die ESM-Bürgschaft !
Das Euro-Schuldgeldsystem wächst exponentiell und
wird bald crashen !
Nach einem Crash wird voraussichtlich ein
"Lastenausgleich 2.0" kommen !
https://www.youtube.com/watch?v=A-hkQn5eXKM
https://vimeo.com/115655977
Eine Information der Gemeinde Neuhaus in Westfalen –
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